Mina K.
Zwischen zwei Welten

Zehnter Besuch im Burgtorclub

08. Februar 2024 (Weiberfastnacht)

Wie (fast) jedes Jahr zu Weiberfastnacht war meine Frau auch diesmal mit ihren "Mädels" verabredet um zu feiern. In der Vergangenheit blieb ich an diesem Tag für gewöhnlich zu Hause und holte die angetrunkenen Frauen irgendwann irgendwo mit dem Auto ab. Schließlich war dieser besondere Karnevalstag hauptsächlich den Damen vorbehalten und ich gönnte ihnen den Spaß.

Dabei hegte ich schon seit geraumer Zeit Wunsch, auch einmal als Mina daran teilhaben zu können. Doch es gab nie eine passende Gelegenheit und ich hätte mich vermutlich auch nicht getraut. Aber meine positiven Erfahrungen im Burgtorclub haben meine Sicht auf die Dinge geändert und ich war fest entschlossen, meinen Wunsch in diesem Jahr dort wahr werden zu lassen.

Und so versuchte auch ich, meine "Mädels" zusammen zu trommeln. Ich verabredete mich mit einer alten Schulfreundin, die von Mina weiß, ihr aber noch nie begegnet ist. Außerdem kontaktierte ich Mary und Lilith, die ich aus dem Burgtor kannte. Doch beide hatten andere Pläne und sagten ab. Und meine Schulfreundin hatte sich was eingefangen und lag krank zuhause. Das war schon sehr enttäuschend, doch es konnte mich nicht davon abhalten, die Sache trotzdem durchzuziehen.

Am besagten Donnerstag habe ich noch bis 18 Uhr im Homeoffice gearbeitet. Zwischendurch in meiner Mittagspause hatte meine Frau mir noch schnell die Haare getönt und mit Festiger in Form gebracht, denn sie war heute schon um 17:30 Uhr verabredet und musste früher los als ich.

Da ich so gegen 22 Uhr in der Stadt sein wollte, hatte ich also ganze vier Stunden Zeit. Daher ließ ich es vorerst ruhig angehen und entspannte mich bei einem Joint, denn aufgeregt war ich schon ein wenig. Es half auch nicht, als meine Frau mir per WhatsApp mitteilte, dass sie vergessen hatte unserer zur Zeit erkrankten Katze ihre Medikamente zu geben. Die Tier im Garten zu finden, einzufangen und zu versorgen war nicht gerade leicht und kostete mich insgesamt fast eine ganze Stunde.

Als das endlich erledigt war, ging ich duschen. Zum Glück hatte ich den Großteil meiner Körperbehaarung schon gestern entfernt. Dadurch hatte ich jetzt nicht mehr ganz so viel Arbeit damit, aber immer noch genug, so dass ich eine Weile damit beschäftigt war, bevor ich endlich mein Kostüm anziehen konnte.

Vor ein paar Tagen haben wir diverse Kostümgeschäfte besucht und ich habe verschiedene Modelle für Frauen anprobiert. Am Ende entschied ich mich für ein blaues Alice im Wunderland-Kleid mit weißer Schürze, denn so fühlte ich mich. Der Burgtorclub war das reinste Wunderland für mich. Ich kaufte auch zwei Paar weiße Strümpfe in zwei verschiedenen Länge dazu, da ich mich nicht zwischen Overknees und Kniestrümpfen entscheiden konnte.

Für heute wählte ich die Overknees und zog mich an. Unter dem Kleid trug ich wie üblich meine formgebende Spezialunterwäsche, ich war schließlich schon eine etwas reifere Alice.  Zusammen mit meinen dazu passenden und für Alice obligatorischen schwarzen Mary-Janes war mein Outfit fast komplett.

Als nächstes legte ich etwas Modeschmuck an. Vor knapp sechs Wochen, zwischen Weihnachten und Neujahr, hatte ich mir nach all den Jahren endlich Ohrlöcher stechen lassen. Diese waren inzwischen soweit abgeheilt, dass ich die kleinen unscheinbaren sterilen Stecker, die beim Stechen benutzt wurden, endlich durch etwas Auffälligeres ersetzen konnte. Ich besaß noch nicht sehr viele Ohrringe, aber die mittelgroßen silbernen Creolen, die  mir meine sechzehnjährige Tochter nach  meinem vollständigen Coming-out im Oktober zu Weihnachten geschenkt hatte, waren perfekt.

Beim rechten Ohrring hatte ich jedoch einige Schwierigkeiten, den Stab ganz durch das frisch verheilte Loch zu schieben. Daher ging ich kurzerhand in meinem Kleidchen zu meiner Tochter und bat sie um Hilfe. Noch vor einem Jahr wäre diese Situation für mich unvorstellbar gewesen, aber seitdem hat sich vieles geändert. Und ich find's gut.☺️

Danach waren Make-Up und Frisur an der Reihe. Bei meinem Kostüm war eine blaue Haarschleife dabei. Mangels Erfahrung und einer helfenden Ehefrau hatte ich ein bisschen damit zu kämpfen, meine Haare und die Schleife gleichzeitig einigermaßen in Form zu bringen.

Mina im WunderlandUm 21:30 war ich schließlich soweit aufgebrezelt und hatte alles Notwendige in meine Handtasche gepackt, dass ich endlich los konnte. Per App rief ich ein Uber, denn das sollte deutlich billiger sein als ein Taxi. Während ich leicht aufgeregt wartete, rauchte ich den Rest meines letzten Joints um mich ein wenig zu beruhigen. Nach etwa sieben Minuten meldete die App, kein Uber in meiner Nähe zu finden. Ich versuchte es erneut und wartete weitere sieben Minuten, jedoch erfolglos. Dann versuchte ich es stattdessen mit einer regulären Taxi-App. Das war zwar teurer, aber mein Wagen sollte in nur drei Minuten da sein.

Die App zeigte mir die genaue Position des Taxis an. Während es sich näherte, verabschiedete ich mich schon mal von meiner Tochter, zog meinen Mantel an und ging vor die Tür, wo ich das herannahende Taxi bereits sehen konnte. Ich stieg hinten ein, denn ich wollte den Fahrer ja nicht durch den Anblick meiner sexy Beine ablenken.🤭

Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle und mit dem Fahrer redete ich nur das Nötigste. Mir war vor lauter Aufregung nicht nach Plaudern, aber ich gab am Ende der Fahrt ein großzügiges Trinkgeld.

Um 20 nach 10 betrat ich die Bar. Es war nicht sehr viel los und ich sah beim Reinkommen genau ein bekanntes Gesicht. Es war Jane, die bei unseren vergangenen Begegnungen auch schon mal ein wenig abweisend mir gegenüber war. Doch sie lächelte in meine Richtung und ich begrüßte sie herzlich. Der Platz neben ihr an der Bar war frei und nachdem ich meinen Mantel an die Garderobe gehängt hatte, gesellte ich mich zu ihr.

Der Barmann Norma war sehr aufmerksam und hatte meine Bestellung sofort aufgenommen. Doch ich kannte ihn noch nicht und konzentrierte meine ganze Aufmerksamkeit zunächst auf Jane, denn ich wollte sie unbedingt besser kennen lernen. Am Anfang ging es noch ums Vorstellen, denn sie erinnerte sich nur schemenhaft an mich. Das lag zum Teil auch daran, dass sie dabei meist recht betrunken war und das gab sie auch lachend zu.

Das Eis zwischen uns brach und wir verstanden uns großartig. Jane schlüpft wie ich nur zeitweise in die Rolle als Frau. Sie bezeichnete sich als Non-Binary, wenn ich mich recht erinnere. Wir erkannten sehr viele Gemeinsamkeiten, obwohl sie erst 21 war. Sie redete oft sehr schnell und aufgeregt, was sie offen mit Autismus und ADHS begründete.

Ein ziemlich betrunkener junger Mann kam zu uns, hielt uns an den Händen und tanzte uns an. Jane und ich schauten nur etwas irritiert und ließen ihn gewähren. Er grinste und fragte uns ein paar mal, ob alles gut sei, was wir beide bejahten. Nach einer Weile schwirrte er wieder ab.

Eine Gruppe bestehend aus vier (echten) Frauen in Harlekinkostümen war schon vor meinem Kommen mit Jane im Gespräch und war nun auch auf mich aufmerksam geworden. Eine der Frauen, sie stellte sich als Tanja vor, kam zu Jane und mir und wir unterhielten uns. Ihr fiel auf, dass Jane und ich zu mögen schienen. Vielleicht dachte sie sogar, wir wären ein Paar. Anstatt das süße Missverständnis auszuräumen trieb die unaufhörlich plappernde Jane das Gespräch weiter voran.

Tanja war 54 und erzählte, sie wäre mit ihren Freundinnen auf Kneipentour und heute zum ersten Mal im Burgtorclub. Sie waren von der familiären, gemütlichen und toleranten Atmosphäre begeistert. Jane und ich konnten beiden nur zustimmen und fügten hinzu, dass es genau das war, was so Leute wie uns hier hinzog. Tanja verstand und meinte, sie wäre bestimmt nicht das letzte Mal hier gewesen. Leider zog die Gruppe kurz danach weiter in die nächste Kneipe.

Dafür kam der Antänzer zurück und versuchte mich zum Tanzen oder sonst was zu bewegen. Ich sagte ihm, dass ich darauf jetzt keine Lust hatte. Er versuchte dann noch sein Glück bei Jane, doch die ließ ihn ebenfalls abblitzen. Er gab auf und wir sahen ihn danach nicht wieder. Ich sprach mit Jane darüber und wie sie so was empfand. Genau wie ich hatte sie diese Erfahrung auch schon mehr als einmal gemacht und genau wie ich fühlte sie sie davon geschmeichelt, solange die Typen nicht zu aufdringlich waren und ein Nein akzeptierten.

Dann sollte ich Alvin kennen lernen, ein sehr zart auftretender schwuler Man of Color, den Jane ganz gut zu kennen schien. Er war sehr freundlich und total lieb.

Mein Frau meldete kurz vor 11 ihr Kommen per Handy an. Ihre Veranstaltung war zu Ende und es war verabredet, dass sie anschließend zu mir ins Burgtor kommen wollte. Ich hatte sogar explizit meine Zustimmung gegeben, dass sie ihre Freundinnen mitbringen konnte. Ich war bereit für ein weiteres Coming-Out. Es war fast bedauerlich, dass es nicht dazu kam, denn die anderen waren alle zu müde.

Der Abend wurde immer geselliger und wir gaben auch ein paar Runden aus. Dabei bezogen wir auch Norma Jane mit ein, die sich im Laufe des Abends als echter Entertainer herausstellte und uns auch zu ihrer Travestie-Show im März einlud. Im Gegenzug spendierte sie eine Runde von ihrem nach Vanille schmeckendem Selbstaufgesetzten.

Pavlos, eine weitere Burgtorbekanntschaft, erzählte meine Frau und mir von dem letzten Typen, mit dem er eine Beziehung aufbauen wollte und der ihn hat sitzen lassen als er erfuhr, dass Pavlos von der Stütze lebt. Davor hatte er eine dreijährige Beziehung mit einem 70jährigen Partner, der vor zwei Jahren im Krankenhaus an Corona verstoben ist. Er war Impfgegner. Aber er hatte Pavlos so geliebt, wie er war.

Jane und ich gingen zweimal vor die Tür um eine zu Rauchen. Beim ersten Mal kam meine Frau auch mit. Jane schnorrte eine Zigarette von mir und wir sprachen unter anderem übers Kiffen. Ich sagte ihr, dass ich was dabei hatte und eine knappe Stunde später standen wir erneut draußen und ein Joint machte die Runde. Alvin war auch da und meinte er müsse mal pinkeln. Als wir bemerkten, dass er nebenan in einen Hausflur pisste, schimpften wir mit ihm.

Gegen halb vier war die Luft langsam raus. Ich hatte zwar nicht soviel getanzt, wie ich es mir gewünscht hätte, aber dafür viele interessante Gespräche geführt. Meine Frau und ich wollten zum Bahnhof laufen und in ein Taxi steigen, doch Norma bestand darauf uns eines zu rufen, damit wir sicher und wohlbehalten zuhause ankamen. Auch das gibt es nicht in vielen Kneipen.


weiter mit Elfter Besuch im Burgtorclub (Rosenmontag 2024)


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